Ngu͂gi͂ wa Thiong’o
Dekolonisierung des Denkens.
Essays über afrikanische Sprachen in der Literatur

Deutsche Ausgabe herausgegeben von Christa Morgenrath (Stimmen Afrikas, Köln) und Anna Stelthove-Fend (Afrika Kooperative, Münster)


Unrast Verlag, Münster 2017
Taschenbuch, 271 Seiten,18,00 EUR

Ein Plädoyer von Ngu͂gi͂ wa Thiong’o für afrikanische Literatur in afrikanischen Sprachen

Ngu͂gi͂ wa Thiong’o ist seit über fünfzig Jahren einer der bekanntesten und erfolgreichsten afrikanischen Schriftsteller. Seinen ersten Roman „Weep Not, Child“ veröffentlichte er 1964. Der vorliegende Band ist bereits 1986 erschienen und liegt jetzt erstmals in deutscher Sprache vor. Es handelt sich um ein politisches Essay über afrikanische Literatur, Sprache, Kultur und Bildung, das große Resonanz gefunden hat. Das wird auch durch die fünf aktuellen Beiträge hervorgehoben, die die beiden Herausgeberinnen in dieser Ausgabe dem ursprünglichen Text von Ngu͂gi͂ wa Thiong’o hinzugefügt haben.

Worin die Aktualität des Bandes liegt, bringt Achille Mbembe in seinem Beitrag zum Ausdruck, wenn er ihn als einen „Klassiker des postkolonialen Denkens in Afrika“ bezeichnet, eine Denkrichtung, die seit etwa zwanzig Jahren in den Geistes- und Sozialwissenschaften erneut große Aufmerksamkeit gefunden hat. Ngu͂gi͂ wa Thiong’o ist Literaturwissenschaftler, er vertritt aber auch eine kämpferische anti-imperialistische Position. Die Sprache, konkret die Durchsetzung der englischen Sprache, ist für ihn integraler Teil des Kolonialismus und des Neokolonialismus mit einer sogar auf größere Dauer angelegten Wirkung, weil sie das Denken der kolonisierten Menschen beeinflusste. Er schreibt: „Die Gewehrkugel war Mittel der physischen Unterwerfung. Die Sprache war Werkzeug der geistigen Unterwerfung.“ Als er das erkannte, wurde er zu einem dezidierten Vertreter der Auffassung, dass afrikanische Literatur nur in afrikanischen Sprachen geschrieben werden kann. Literatur von afrikanischen Autoren in Englisch (oder Französisch oder Portugiesisch) sei nicht afrikanische, sondern „afro-europäische Literatur“.

Überzeugungskraft entfaltet die Schrift von Ngu͂gi͂ wa Thiong’o durch die ausführliche Darstellung seiner eigenen Erfahrungen, die seine grundsätzlichen Überlegungen unterfüttern. Den Anfang stellte „Eine Konferenz afrikanischer Schriftsteller englischer Sprache“ dar, die 1962 an der Makerere Universität in Uganda, an der er damals studierte, stattfand. Der Ausschluss von Autoren, die in afrikanischen Sprachen schreiben, führte damals schon zu Kritik, und blieb für Ngu͂gi͂ wa Thiong’o ein prägendes Ereignis, obwohl er zunächst mehrere Romane auf Englisch schrieb. Entscheidend wurde für ihn Jahre später, 1977, als er bereits Literaturdozent an der Universität in Nairobi war, sein Engagement in einem Kulturzentrum in einem Dorf seiner Heimatgegend, wo er zusammen mit den Dorfbewohnern in ihrer Gi͂ku͂yu͂-Sprache (eine andere Sprache kam gar nicht in Frage) ein Theaterstück „Ngaahika Ndeenda“ (I Will Marry When I Want) entwickelte und zur Aufführung brachte. Die radikale Intention der Förderung der autochthonen Kultur brachte die – neokoloniale – Regierung Kenias auf den Plan: Das Stück wurde verboten und bald danach wurde Ngu͂gi͂ wa Thiong’o für ein Jahr ohne Anklage inhaftiert. Seitdem schreibt er seine Romane auf Gi͂ku͂yu͂ (und übersetzt sie selbst ins Englische); er begann bereits im Gefängnis damit.

Unterstützt wird Ngu͂gi͂ wa Thiong’o durch die anderen Beiträge in dem Band, deren Autor*innen – wie er – davon berichten, dass sie in ihrer Schulzeit in der Zeit nach der Unabhängigkeit, ob es in Senegal, Simbabwe, Südafrika oder Kenia war, immer noch bestraft wurden, wenn sie sich in ihrer Muttersprache unterhielten. Für sie ist die Forderung, afrikanische Sprachen als gleichrangig mit anderen Sprachen zu behandeln, unverändert aktuell. Mukoma wa Ngu͂gi͂, der Sohn Ngu͂gi͂ wa Thiong’os, verweist auf Initiativen, mit Hilfe von Übersetzungen dieses Ziel zu erreichen. Petina Gappah meldet aber auch Vorbehalte zu Ngu͂gi͂ wa Thiong’os Kritik an afrikanische Autoren an, die in Englisch oder Französisch schreiben, denn diese Sprachen seien heute auch „Teil der afrikanischen Modernität“.

Sie nimmt damit Bezug auf die jahrelange Kontroverse Ngu͂gi͂ wa Thiong’os mit dem Nestor der afrikanischen Literatur, Chinua Achebe, den er in seinem Text als Autor, der alle seine Romane auf Englisch verfasst und dies auch gerechtfertigt hat, wiederholt zitiert. Chinua Achebe hat dem apodiktischen Plädoyer Ngu͂gi͂ wa Thiong’os für eine afrikanische Literatur in afrikanischen Sprachen entgegengehalten, dass er statt für „entweder … oder“ immer für beides gewesen sei, und hat hinzugefügt, dass er angesichts der 200 Sprachen, die in Nigeria gesprochen werden, nur in Englisch die linguistischen Barrieren zu seinen Landsleuten überwinden konnte.

Ngu͂gi͂ wa Thiong’os politisches Essay steht, wie er selbst bekräftigt, in der Tradition von Wegbereitern der postkolonialen Theorie wie Frantz Fanon. Es bleibt – nicht zuletzt wegen seiner argumentativen Zuspitzungen – ein bemerkenswertes Buch der kritischen afrikanischen Gesellschafts- und Sprachanalyse. Die späte Veröffentlichung in Deutsch ist sehr zu begrüßen.