Ondjaki
Die Durchsichtigen

Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2015
348 Seiten, 24,80 EUR

Der neue Roman des angolanischen Schriftstellers Ondjaki erzählt vom Leben in Luanda unter der uneingeschränkten Herrschaft der Partei.

Rezension von Peter Meyns

In diesem in der Reihe „AfrikaWunderhorn“ erschienenen Roman nimmt uns Ondjaki – ein noch junger, aber bereits erfolgreicher Schriftsteller und Künstler aus Angola – mit auf eine fulminante Reise durch Luanda, die aus allen Nähten platzende Hauptstadt Angolas, in der Zeit nach dem Ende des jahrzehntelangen Bürgerkriegs. Der Autor bedient sich dabei kunstvoller fantastischer Überhöhungen im Geiste des magischen Realismus und schafft es damit zugleich ein Bild der Realität Angolas unter der uneingeschränkten Herrschaft einer Partei und eines „Genossen Präsidenten“ entstehen zu lassen.
Im Blickpunkt des verzweigten Geschehens stehen ein heruntergekommenes mehrstöckiges Haus am Maianga-Platz und die ab dem 3. Stock dort lebenden Bewohner, die auf unterschiedliche, meist informelle Art über die Runden kommen. Das Haus zieht auch andere Menschen an, denn im 1. Stock läuft rätselhafter Weise ununterbrochen das Wasser, während die Wasserversorgung sonst höchst unzuverlässig ist. Stellvertretend für die titelgebenden „Durchsichtigen“ steht Odonato, der mit Frau und Tochter im 6. Stock des Hauses lebt. Weil er es satt hat, von den Essensresten der Reichen zu leben, die seine Frau in der Stadt täglich zusammensucht und aufbereitet, hat er aufgehört zu essen und ist daher zunehmend durchsichtig geworden. Er fühlt sich befreit von der Abhängigkeit in einer ungerechten Gesellschaft, wird aber immer durchsichtiger. „man ist durchsichtig, weil man arm ist“, sagt Odonato.
Der Armut gegenüber steht die rücksichtslose Bereicherung der Machthaber im postsozialistischen Angola und der Günstlinge in ihrem Umfeld, wobei der Autor auch hier die Realität Angolas gut trifft, wenn ein neu-kapitalistischer Akteur, der sich die Privatisierung des angolanischen Wassers unter den Nagel reißen will, sich Gedanken darüber macht, dass „direkte Beziehungen zum großen Chef“ der Schlüssel zum geschäftlichen Erfolg seien. Die Maßlosigkeit der Selbstbereicherung der herrschenden Elite wird in dem Vorhaben sichtbar, unter der Stadt Luanda nach Erdöl zu suchen und alle Bedenken ausländischer Experten über die Gefahren für den Untergrund des Bodens und damit der ganzen Stadt in den Wind zu schlagen.
Inmitten dieses Treibens pulsiert das Leben im geliebten Luanda: Bier und Whiskey, Sex und Frauen, Korruption, Kleinkriminalität, eine als nationales Ereignis angekündigte Sonnenfinsternis, die vom „Genossen Präsidenten“ persönlich ‚abgesagt‘ wird, weil „Genossin Ideologie“ stirbt und der Staat Trauer angeordnet hat – nichts fehlt in diesem absurden Theater, das uns Ondjaki vor Augen führt.
Zu Beginn des Romans irren der Muschelverkäufer und ein blinder Mann, mit dem er unterwegs ist, durch ein unbändiges Feuer in der Stadt. Erst am Ende des Romans erfahren wir, dass das Feuer durch einen Kurzschluss am Maianga-Platz ausgelöst wurde und außer Kontrolle geriet, weil dort für die Jubelfeier wegen der Erdölfunde unter der Stadt große Mengen Feuerwerkskörper lagerten. Im Maianga-Haus haben sich die Leute im 1. Stock am weiter laufenden Wasser vor dem Inferno halbwegs in Sicherheit gebracht. Odonato jedoch – inzwischen so durchsichtig, dass seine Frau ihn festbinden muss, damit er nicht wegfliegt – ist auf der Dachterrasse des Hauses, wo seine Frau ihn wegen des Feuers nicht holen kann, und entschwindet im Himmel. Der Blinde will vom Muschelverkäufer unbedingt wissen, welche Farbe das Feuer hat. Am Schluss erfährt er es, es ist ein „langsames Rot“. Ein symbolträchtiges Ende eines großartigen Romans, der in Portugal mit dem angesehenen Saramago-Preis ausgezeichnet wurde.