Nasrin Siege
Die Spur des Elefanten

Ab 10 Jahren.
Razamba Verlag, Boppard, 2014
Klappenbroschur, 162 Seiten, 12,90 EUR.

Rezension von Regina Riepe

Mein Vater ist doch kein Wilderer! Weder Omari noch sein Freund Zawadi können sich vorstellen, dass Omaris Vater einen Elefanten erschossen und das Elfenbein verkauft hat, mitten im Naturpark. Doch der Verdacht wiegt schwer und nach einer ergebnislosen Hausdurchsuchung tobt die Gerüchteküche. Keiner der Dorfbewohner besitzt offiziell ein Gewehr, doch viele haben eine Vergangenheit als Jäger oder Wilderer. Omaris Vater mit seinem kleinen Laden hat gute Kontakte zu Händlern in der Hauptstadt. Haben die ihn etwa angestiftet und dann das Elfenbein in der Stadt verkauft? Omari und Zawadi beschließen allen Verboten zum Trotz, selber in den Wald zu gehen und nach Spuren zu suchen, um die Wahrheit herauszufinden.

Kenntnisreich führt Nasrin Siege die jungen Leser in ihrer spannenden, gut geschriebenen Geschichte nach Tansania, in ein Dorf am Rande des Selous Nationalparks. Während Kinder bei uns Elefanten, Löwen oder Hyänen nur aus Filmen oder Tierbüchern kennen, gehört der Umgang mit diesen Tieren für die Dorfbewohner zum Alltag. Das ist keineswegs romantisch, sondern sehr konfliktbeladen! Elefanten fressen sich ungestört in den Bananenplantagen satt und lassen sich nicht durch den Lärm der Dorfbewohner vertreiben. Und vor Löwen und Hyänen muss sich jeder in Acht nehmen, besonders vor den gefürchteten „Simba-mtu“, den Menschenfresser-Löwen. Wenn ein Löwe einmal gemerkt hat, wie einfach es ist, einen Menschen zu töten – denn die laufen längst nicht so schnell wie eine Antilope - dann wird er es immer wieder tun. Manche erzählen allerdings, dass ein böser Zauber solche Löwen dazu bringt, Menschen zu fressen. Es ist etwas unheimliches an diesen Simba-mtu. Besonders Rajabu wird von der Angst vor diesen Löwen umgetrieben, er hat als Dreijähriger erlebt, wie sein Vater von einem solchen Simba-mtu getötet wurde.

Manche der alten Männer träumen noch von den früheren Zeiten, als sie im heutigen Naturpark auf die Jagd gingen oder für Großwildjäger als Spurenleser arbeiteten. Es gab reichlich Fleisch und gutes Geld für Felle oder das Elfenbein. Zawadis Großvater erzählt gerne davon, wie er früher durch den Busch streifte und Tiere beobachtete. Ein einziges Abenteuer! Deshalb hat er Verständnis dafür, dass es den Jungen und seinen Freund Omari immer wieder in den Naturpark zieht. Doch die Zeiten haben sich geändert, das versteht auch der Großvater. Am Naturschutz führt kein Weg vorbei, denn die großen Tiere waren fast ausgerottet. Nun haben die Wildhüter das Sagen und die Dorfbewohner arbeiten in einem Wildschutz-Programm mit. Sie haben ein Gewehr für das Dorf beantragt, damit sie sich vor Löwen und Elefanten besser schützen können. Doch das steht alles auf dem Spiel, wenn sich herausstellt, dass ein Dorfbewohner gewildert hat.

Neben der spannend erzählten Suche nach dem Wilderer erfahren die jungen Leser eine Menge über den Alltag in einem Dorf in Tansania. Die Kinder werden sensibel und glaubwürdig dargestellt: Zawadi, dessen Name „Geschenk“ bedeutet und der bei den Großeltern aufwächst, weil seine Mutter bei seiner Geburt gestorben ist. Sein bester Freund Omari, dessen Mutter Zawadi gemeinsam mit ihrem Sohn stillte, denn nur so kann ein mutterloser Säugling überleben in einem Dorf, das kein Milchpulver und keine Flaschennahrung kennt. Die kleine Fatuma, die Märchen über alles liebt, der Lehrer und seine Frau, die Truppe der Wildhüter und natürlich Bibi, die Großmutter, sind beeindruckende Persönlichkeiten. Zawadi hat eine Menge Verpflichtungen neben der Schule, denn Bibi und Baba sind zu alt, um selbst Wasser oder Feuerholz zu holen und der Zaun um den Gemüsegarten muss wieder geflickt werden. Doch all das hindert Zawadi nicht daran, heimlich in den Busch zu ziehen, um Honigvogel, Elefanten oder Affen zu beobachten. Wenn ich groß bin, werde ich Wildhüter! Diesen Traum werden wohl viele junge Leser nachvollziehen können, auch wenn er für sie , anders als für Zawadi und Omari, kaum Realität werden kann.