Andrea Karimé
mit Zeichnungen von Jens Rassmus
King kommt noch

Peter Hammer Verlag 2017, Wuppertal
48 Seiten, gebunden
Preis: 9,90 EUR, für Erstleser und zum Vorlesen ab 6 Jahren

Rezension von Regina Riepe, veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung am 26. Juni 2017

Voller Zuversicht wartet ein Junge auf seinen geliebten Hund. „King kommt noch!“ hatte die Mutter versprochen. Sie sind ja auch erst seit drei Tagen in diesem neuen Land, in Sicherheit zwar, aber fremd und verloren. Mama, Papa, Baby und der Junge, der in diesem Buch von seinen Gedanken und Erlebnissen erzählt, alle in nur einem Zimmer. Ein komisches Land, in dem es immer gleich drei Straßen gibt – eine für Autos und gleich zwei am Rand, extra für Kinder, Hunde und Menschen! Und wo tatsächlich ein Mann Hundehäufchen in einer Plastiktüte einsammelt. Was er wohl damit macht? Auch Mama und Papa können diese Frage nicht beantworten, sie wissen überhaupt gar nichts mehr, ganz anders als zu Hause. Der Junge sehnt sich so nach seinen Hund, den sie in ihrem zerstörten Zuhause zurücklassen mussten. Er wird sicher nachkommen! Aber wie soll King den weiten Weg hierher bloß finden? Die Eltern zerstören die Hoffnung des Kindes nicht, sondern bauen fantasievoll ein „Windtelefon“, das die Worte des Jungen über die Berge hin zu seinem Hund tragen wird. Ganz genau beschreibt er nun King den gefährlichen Weg und findet Trost darin, sich seine Ankunft auszumalen. Bis es soweit ist, erkundet der Junge Schritt für Schritt die neue Welt, auch wenn das nicht einfach ist. Der nette Hausmeister der Unterkunft gibt ihm ein Buch – doch oh Schreck, alle Buchstaben sind fremd! Arabische Schriftzeichen sehen ganz anders aus. Leseanfänger werden das Entsetzen des Jungen gut nachempfinden können. Was, wenn man nicht mehr lesen kann, obwohl man das gerade mühsam in der Schule gelernt hat? Alles ist fremd und unverständlich. Die freundliche weiß gekleidete Frau von gegenüber hat eine Lampe mit blauem Licht. Wohin geht sie wohl immer mit ihrer großen Tasche? Fragen über Fragen. Doch dann entdeckt der Junge mit seinem Papa eine Teestube, ganz wie zu Hause. Und im Fahrradladen um die Ecke bekommt er ein Fahrrad, mit dem er die Straße entlangsausen kann. Schritte in ein normales Kinderleben. Als dann noch die weiß gekleidete Frau ihm eine besondere Taschenlampe mit blauem Licht schenkt, erwachen alle Bücher zum Leben. Beim Bücherlesen versinkt er in einer zauberhaften Welt, in der Tiere Flügel bekommen. Auf solchen Flügeln könnte sein geliebter Hund King auch zu ihm kommen.

Realistisch und märchenhaft zugleich ist diese Geschichte vom Ankommen in der Fremde. Andrea Karimé erzählt von Unsicherheit und dem Schmerz des Verlustes, aber auch von den kleinen Gesten der Freundschaft, die so viel bewirken. Wer mit Kindern diese Geschichte liest, begibt sich mit ihnen zusammen in eine magische Welt, in der Hunde den weiten Weg aus dem zerstörten alten Zuhause bis zu dem Jungen finden könnten. Und fühlt sich in die Fremdheit und Verlorenheit eines Kindes ein, für das nichts mehr selbstverständlich ist und wo sogar die freundlichen, kompetenten Eltern keine Antworten mehr haben.

Einfühlsam illustriert mit hellen freundlichen Bildern erzählt das Buch eine hoffnungsfrohe Geschichte. Durch seine klare Sprache ist es zum Vorlesen für Kinder ab 6 Jahren und für Erstleser geeignet.